Porträt: Die Künstlerin Kitty Kahane hat die diesjährige Weihnachtsmarke der Post gestaltet
Millionen Briefe werden sie demnächst zieren, die drei Weisen aus dem Morgenland. Sie sind das Motiv auf der Briefmarke von Kitty Kahane.
Zehn Millionen Auflage: Ganz schön viel für eine Grafik. Auch für eine erfolgreiche Künstlerin wie Kitty Kahane. Unzählige Menschen kennen ihre Bilder. Ihr Name hingegen ist nur wenigen bekannt. Denn auf Briefmarken ist kein Platz für eine Signatur. Kitty Kahane hat die diesjährige Weihnachtsmarke der Post gemalt. Die drei Weisen aus dem Morgenland: Bunt gekleidete schlanke Gestalten zwischen drei Palmen. Sie tragen goldene Geschenke in der Hand und folgen dem Stern von Bethlehem. Millionen Briefe werden sie demnächst zieren. Und darüber hinaus Wohltätigkeitsorganisationen, auch die Kirchen, unterstützen. Denn zu dem normalen Briefporto von 58 Cent zahlen die Postkunden 27 Cent Aufschlag für einen guten Zweck. Nass- oder selbstklebend, je nach Belieben. Kitty Kahanes kleines Kunstwerk ist nicht in einer Galerie oder im Designshop erhältlich, sondern in jedem Postamt Deutschlands. Auch in dem um die Ecke von Kitty Kahanes Atelier, mitten im Prenzlauer Berg, dem Ostberliner Szene-Kiez.
Wie die zierliche Künstlerin diesen Auftrag bekommen hat? »Vor einigen Jahren wurde ich gebeten, Entwürfe einzureichen«, erinnert sie sich. Sportarten sollten sie briefmarkenfähig machen. Die Bilder, die sie malte, kamen in die engere Auswahl. Gedruckt wurden allerdings andere. Doch die Briefmarkenjury des Bundesfinanzministeriums war aufmerksam geworden auf die Kreative mit dem so ganz eigenen Strich. Weitere Entwürfe folgten, 2012 dann die erste Briefmarke. Anlass war das 100-jährige Bestehens der »Domowina«, des Dachverbandes der Lausitzer Sorben. Kitty Kahane malte ein Vogelpaar, das fröhlich tanzt und die sorbische Fahne schwingt: ein Motiv aus dem sorbischen Brauch der Vogelhochzeit. Anfang 2013 folgte die zweite Marke, diesmal zum 50-jährigen Jubiläum von »Jugend musiziert«: Ein rothaariges Mädchen in gelbem Kleid traktiert ihr Cello, sie sitzt auf einer Bühne, die wie ein Siegerpodest anmutet. Das besondere beider Marken: Die Schrift ist nicht mit Druckbuchstaben nachgetragen, sondern von Hand gezeichnet und somit künstlerischer Teil des Bildes. So ist es auch bei der diesjährigen Weihnachtsmarke. Die drei Worte »Stern von Bethlehem« wirken wie goldene Strahlen.
Es gehört schon großes Können dazu, auf 35 mal 35 Millimetern ein erkennbares Bild mit so vielen Details zu zaubern. Kitty Kahane hat viele Jahre Erfahrungen gesammelt. Geboren wurde sie 1960 in Ostberlin, wuchs atheistisch auf. Glaube und Kirche waren für sie tabu. Die Jugendweihe erlebte sie im damaligen Prestige-Kino »International«. Nach dem Abitur 1978 machte sie ein Praktikum in der Porzellanmanufaktur zu Meißen, arbeitete dann als Buchgestalterin im Verlag der Nation. Das Studium an der Kunsthochschule schloss sie 1989 ab. Die politische Wende ging für Kitty Kahane einher mit einer Lebenswende: Von nun arbeitete sie freiberuflich als Illustratorin. Unterschiedlichste Unternehmen nahmen ihr Können in Anspruch, darunter so illustre Design-Firmen wie Koziol, SIGG und JAB-Anstoetz. Über die Jahre reifte Kitty Kahanes Stil zu einer ganz eigenen Bildsprache. Verspielte Figuren mit Herz und klaren Konturen; mal romantisch verschlungen, aber nie kitschig; mal böse lächelnd, aber nie unmenschlich. Es ist, als banne Kitty Kahane die ganz normalen Menschen mit ihren Höhen und Tiefen, mit ihren Oberflächlichkeiten und Abgründen aufs Papier. Und als halte sie den Betrachtern einen barmherzigen Spiegel vor.
Seit einigen Jahren wendet sich Kitty Kahane verstärkt biblischen Figuren zu. »Das hängt auch mit meiner Heirat zusammen«, erklärt sie. Durch die Familie ihres Ehemannes habe sie den jüdischen Glauben kennen- und schätzen gelernt. Langsam tastete sie sich an die Themen und Stoffe der Bibel heran und entdeckte deren Tiefen. Mittlerweile hat sie viele biblische Geschichten illustriert. Der christliche Verlag »edition chrismon« entdeckte das Können und die überbordende Fantasie Kitty Kahanes. Er brachte die Künstlerin mit bedeutenden Schriftstellern zusammen; zusammen sollten sie biblische Geschichten neu in Bild und Wort erzählen, mit allen literarischen und künstlerischen Freiheiten. Mit dem russischstämmigen Erfolgsautor Wladimir Kaminer fand sich Kitty Kahane im Paradies ein, zeichnete Adam und Eva (»Das Leben ist kein Joghurt«). Der moderne Hiob heißt im Buch Roger Willemsen »Herr Gottlieb« und ist Zirkusdirektor – Kitty Kahane setzte ihn farbig in Szene, Titel: »Das müde Glück«. Mit Margot Käßmann konzipierte sie die Geschichte von Josef und seinen Brüdern (»An Vaters Rockzipfel«), mit Sibylle Berg, Alina Bronsky und Thomas Brussig ergründete sie Mose, Jakob und Esau und den Turmbau von Babel.
Mit der Weihnachtsmarke wagt sie sich nun erstmals auf neutestamentliches Terrain. »Ich habe intensiv die Geschichte im Matthäusevangelium studiert«, erzählt sie. Auch in die christliche Kunst ist sie abgetaucht, Botticellis Gemälde der »Anbetung der Heiligen Drei Könige« beeindruckte sie, noch mehr ein Wandmosaik aus Ravenna, entstanden im 6. Jahrhundert. Wer es mit der Weihnachtsmarke vergleicht, erkennt Ähnlichkeiten.
Nun freut sich Kitty Kahane auf den 3. Dezember. Dann wird ihr philatelistisches Kunstwerk offiziell präsentiert: In der Berliner Friedrichstadtkirche, gleich neben dem Adventstreiben auf dem Gendarmenmarkt.
Währenddessen arbeitet sie in ihrem Atelier schon am nächsten Mini-Gemälde. Auch diesmal ist wieder eine Millionenauflage zu erwarten. »Das Thema darf ich noch nicht verraten«, sagt sie. Fest steht: Es wird Zacken haben.
Uwe Birnstein